Es ist eine spannende Zeit in Südafrika. Die Regierungspartei African National Congress (ANC) hält ihre 52. Konferenz ab und entscheidet über ihren Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr. Und weil der ANC in Südafrika noch dominanter ist als die CSU in Bayern, gehen alle davon aus, dass in diesen Tagen der Nachfolger von Präsident Thabo Mbeki ernannt wird. Es ist ein stark personalisierter Wahlkampf. Aber auch wenn Ideologien angeblich eine untergeordnete Rolle spielen, so ist es doch unübersehbar, wie die Mehrheit der armen Bevölkerung in Jacob Zuma „ihren Kandidaten“ sieht (er präsentiert sich als links).
In dieser spannenden Zeit bin ich vor Ort. Auch noch in der Hauptstadt. Die meisten nennen sie nach wie vor Pretoria. An sich wurde sie in Tshwane umbenannt, und dieser Name soll wohl schon eine Rolle gespielt haben, als an den burischen Namensgeber Pretorius noch gar nicht zu denken war. Bevor ich Anfang November hier herkam, hab ich drei Monate and der Uni Stellenbosch in der Nähe von Kapstadt studiert. Glücklicherweise gehört das zu meinem Studiengang, sonst wäre das nicht finanzierbar gewesen. Die Uni ist top und teuer und damit leider nach wie vor für den Großteil der schwarzen Bevölkerung unzugänglich (ein weiteres Problem ist die Sprache – viele Kurse werden nur auf Afrikaans angeboten).
Jetzt bin ich in der Hauptstadt und mache ein Praktikum im Landesbüro des United Nations Development Programme (UNDP), also dem Programm, dass alle Entwicklungsanstrengungen (was auch immer das ist) der Vereinten Nationen koordiniert. Das Ziel meines Praktikums ist es herauszufinden, wie die südafrikanische Regierung auf die Millennium Development Goals (MDGs) reagiert hat.
Was lässt sich bislang sagen? Zwei Dinge sind offensichtlich. Südafrika nimmt das Thema Armutsbekämpfung sehr ernst. Man hat sich eine ganze Menge von ambitionierten Zielen gesteckt und viele wirtschafts- und sozialpolitische Programme aufgelegt. Die Umsetzung ist aber das große Problem. So wurden zum Beispiel von mehr als drei Millionen geplanten Sozialwohnungen erst weniger als zwei Millionen gebaut. Man kann das dann immer von zwei Seiten sehen. Von dem her, was in relativ kurzer Zeit alles erreicht wurde und von dem her, was vollmundig versprochen, aber nicht umgesetzt wurde. In vielen Bereichen hat sich Südafrika Ziele gesteckt, die über die MDGs hinausreichen. So sehen die Millenniums-Ziele beispielsweise vor, den Anteil der armen Bevölkerung (Leute, die mit weniger als einem Dollar pro Tag und Kopf leben müssen) im Jahr 1990 bis zum Jahr 2015 halbiert zu haben. Südafrika hat sich in seiner ‚Vision 2014’ das Ziel gesetzt, zwischen 2004 und 2014 ‚Armut zu halbieren’ (was teilweise auch mit der schlechten Datenlage in den 1990ern zu tun hat). Das ist ein typisches Beispiel – die südafrikanische Regierung hat große Ziele und meint, die MDGs damit ohnehin locker abzudecken. Wie schon erwähnt, sind aber nicht gerade alle Zahlen befriedigend. Während im Bereich Bildung quantitative Fortschritte gemacht worden sind und werden (der Anteil der eingeschulten Kinder ist sehr hoch – es gibt aber große qualitative Mängel), ist im Bereich Gesundheit noch viel zu tun. Das merkt man besonders dann, wenn die Regierung anstatt Zahlen zu nennen, eher neue Programme vorstellt, die sich wirklich erfolgversprechend anhören. Das also sind die Themen, mit denen ich mich auseinandersetze und die in meiner Master-Arbeit wieder auftauchen werden. Wer Interesse daran hat, der möge sich melden. Spätestens im Sommer 2008 dürfte das Werk vollendet sein...
Dass sich die ganze Geschichte aber nicht in erster Linie nicht um Politik, Zahlen und Probleme dreht, sondern um ganz konkrete Menschen, wurde mir noch mal mehr bewusst, als ich mich mit Leuten unterhielt, die sich in der südafrikanischen Micha-Initiative engagieren. Vor kurzem konnte ich Moss Ntlha treffen, den Generalsekretär der südafrikanischen Evangelischen Allianz. Obwohl die Initiative in Südafrika erst dieses Jahr begonnen hat, merkt man, wie fest sie hier bereits verwurzelt ist. Sich mit Fragen von Gerechtigkeit und Armut auseinander zu setzen, hat in vielen Kirchen Südafrikas eine lange Tradition. Der Leiter eines charismatischen Kirchenbundes, der bei dem Treffen mit Moss dabei war, sagte mir, nachdem ich ihm erzählt hatte, wie langsam Micha in Deutschland anläuft, mit einem verschmitzten Lächeln: „Here is the reality“. Ja man, das stimmt. Hier sind die Armen. Und sie machen einen Großteil der Kirche aus (wobei man so ehrlich sein muss zu sagen, dass es auch in Südafrika einige Gemeinden gibt, in denen man davon nicht viel mitbekommt – und das blöderweise zugleich die Gemeinden sind, in denen man sich als Europäer [sub]kulturell mehr zu Hause fühlt...). Ich habe soeben Shane Claibornes Buch ‚The Irrestible Revolution’ (‚Ich muss verrückt sein so zu leben’) zu Ende gelesen. Ein fantastisches Buch, dass einen aber auch schnell verärgern kann. Es ist unheimlich radikal. Lest es. Viel will ich jetzt nicht dazu schreiben. Mir kam nur in den Sinn, wie Claiborne über den Bibelvers schreibt ‚Arme wird es immer unter euch geben...’ – ein Vers, der in Isolation manche theologische Haltung genährt hat, es sei nicht in Gottes Sinne, sich gegen die strukturellen Gründe von Armut einzusetzen. Was Claiborne aber fragt ist, ob denn die Armen tatsächlich unter uns sind. Vielleicht denkt ihr jetzt: Toll, das schreibt der jetzt selbstgerecht aus Südafrika... Nee, gerade hier ist das oft noch viel perverser – die Armen wohnen wörtlich nebenan und wenn du nicht willst, brauchst du auch nichts mit ihnen zu tun haben. Auch nicht in der Kirche. Es gibt vermutlich wenige Gemeinden, in denen verschiedene soziale Schichten zusammen Gottesdienst feiern, geschweige denn darüber hinaus Gemeinschaft pflegen. Das Geheimnis ist: Das ist auch gar nicht so einfach. Spätestens in einer Gebetsgemeinschaft mit Obdachlosen merkt man, dass Gemeinde nicht darauf beschränkt sein kann, dass man sich einmal die Woche trifft und sich für den Rest der Zeit alles Gute und Gottes Segen wünscht...
Here is the reality. In Deutschland aber auch. Und unsere Micha-Initiative muss wahrscheinlich anders aussehen als die südafrikanische. Und ich bin mir sicher, dass wir viel voneinander lernen können. Ich weiß, das ist ein billiger Standardsatz geworden... Aber ich wünsch mir, dass Gott ihn durch echte Gemeinschaft wieder mit Sinn füllt. Und dann erst macht es Sinn, sich mit den ganzen politischen Fragen um das ‚Thema Armut’ auseinander zu setzen. Dass das beides noch mehr zusammenkommt ist meine Hoffnung für die mir verbleibende Zeit in Südafrika.
Ach so, wer bin ich eigentlich? Alex Gentsch. Hab letztes Jahr Micha Leipzig mit-gegründet und werde im kommenden hoffentlich meinen Master in ‚Global Studies‘ abschließen – und zwar im wunderschönen polnischen Wroclaw.
Das ist die Bibelstelle, die ich halb zitiert hab: Markus 26,11 / Markus 14,7 / Johannes 12,8
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